Trittst im Morgenrot daher …

Am 1. August erklingt sie wieder überall: die schweizerische Landeshymne. Viel wurde über den „helvetischen Wetterbericht“ gelästert. Gewiss lässt sich einwenden, die Hymne sei zu pathetisch und nicht mehr zeitgemäss. Tatsache ist jedoch, dass der „Schweizerpsalm“ in den fast 40 Jahren als offizielle Landeshymne alle Bemühungen um Modernisierung überlebt hat.

1841 vom Zisterzienser Mönch Alberik Zwyssig auf einen Text des liberalen Zürchers Leonhard Widmer komponiert, stellt das Lied ein bemerkenswertes ökumenisches Zeugnis dar und bringt den Willen zur Einheit in einer Zeit politischer Unruhen zum Ausdruck. Aus heutiger Sicht ist Ökumene weiter zu fassen: Die Hymne verkündet nicht endgültige Wahrheiten, sondern ist offen genug, dass Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen sich ihr anschliessen können. Ausgehend von Naturerfahrungen beschreibt der Text eine Wirklichkeit, die menschliches Fassungsvermögen übersteigt und der wir mit Ehrfurcht, Bescheidenheit und Dankbarkeit begegnen sollen.

Gott erscheint hocherhaben und unergründlich, aber auch menschenfreundlich und liebend, so dass wir uns in Zeiten der Not auf ihn verlassen, ihm vertrauen können.

Der Aufruf „Betet, freie Schweizer“ lässt sich in einem erweiterten Sinn deuten als Aufforderung an alle Bewohnerinnen und Bewohner des Landes, gemeinsam innezuhalten und sich auf ein Drittes, „Höheres“ auszurichten, das alle verbindet (statt sich gegeneinander zu richten oder sich nur auf sich selbst zu beziehen).

Vielleicht ist die Hymne gerade in diesem Jahr besonders aktuell: in einer Zeit, in der ein Bundesrat von Bescheidenheit spricht, in der vieles ungewiss ist, in der wir Ferien im eigenen Land machen und die Naturschönheiten neu entdecken. Es ist zu hoffen, dass die Ahnung der Gegenwart Gottes im „Vaterland“ sich auf unser Verhalten untereinander und auf unseren Umgang mit der Umwelt, der Schöpfung Gottes, auswirkt.

Josef Anton Willa