In der alten Klosterkirche auf der Insel Iona in Schottland, wo ich zwei Jahre lang gewohnt und gearbeitet habe, läuteten wir vor jedem Gottesdienst die Glocke im Turm. Durch einen Strick, der in den Kirchenraum hinunter reicht, bewegt man einen Hammer, der auf die Glocke im Turm schlägt. Das ist aber gar nicht so einfach. Zieht man nämlich den Strick nach unten und lässt die Hände mit dem Strick wieder hochgleiten, ertönt gar nichts. Um der Glocke einen vollen Klang zu entlocken, gibt es nur eines: nach dem Runterziehen muss man den Strick loslassen. Erst durch das ungehinderte Hochschnellen gewinnt der Hammer genug Schwung, um auf die Glocke zu schlagen. Loslassen ist ein entscheidender Grundvollzug eines Lebens in Freiheit.
Wenn ich nicht bereit bin, einen Strich unter Vergangenes zu ziehen, an einer Schuld festhalte oder mir selber für einen Fehler nicht verzeihen kann, ist mein Leben nie ganz frei. Die hohe Kunst des Loslassens ist es, einem Gegenüber selbst dann zu verzeihen, wenn gar keine Einsicht da ist. Dadurch übernehme ich meine eigene Verantwortung und durchbreche den Kreislauf von Schuld und Rache.
Die Sommerferien sind für viele von uns eine Zäsur im Jahreskreislauf. Wir haben Zeit, vom Alltag einen Schritt zurückzutreten, aus etwas Distanz unser Leben zu überdenken. Das ist eine gute Gelegenheit, sich Vergangenes nochmals vor Augen zu führen, um dann bewusst loszulassen – loszulassen in Gottes gütige Hände. So können wir dem Leben neuen Schwung verleihen, dass es seinen vollen Klang entfalten kann, wie die Glocke auf Iona.
Wir wünschen allen frohe Ferien!
Daniel Meier